Die Mehrheit der
Menschen ist dann, wenn alles auf dem richtigen Weg zu sein scheint, nicht
daran interessiert, die Vergangenheit zu ergründen oder in die Zukunft zu
blicken; sie beschränkt sich vielmehr auf die Beschäftigung mit dem Heute und
der alltäglichen »Normalität«. Sobald jedoch der Lärm und das haarsträubende
Knirschen im Getriebe unüberhörbar und die ersten Risse sichtbar werden, wird
allen klar, dass das Leben aufgehört hat, sicher zu sein. Das Ende unserer
»Normalität« hatte sich mit dem Beginn der Wirtschaftskrise des Jahres 2008
angekündigt. Seither haben sich die Zustände ständig verschlimmert und alle
menschlichen Aktivitäten beeinflusst. Unsicherheit, Anspannung und Angst sind
an die Stelle des Vertrauens getreten.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehen wir uns
alle einer Krise gegenüber, die die Aktivierung sämtlicher schöpferischen
Kräfte erfordert. Dies hat auch zu einer intensiven Rückbesinnung auf den
menschlichen Erfahrungsschatz geführt, wie die Spanische Grippe, den
Börsenkrach von 1929 sowie den Aufstieg und Niedergang der politischen Systeme.
So machten wir uns alle auf die Suche, wobei zunächst zu unterstreichen ist,
dass der Krieg die Grundlage der Geschichte ist. Holen wir also die Texte von
Marx wieder hervor, die vom deterministischen Entwicklungsgang der Welt auf der
Grundlage der Gesetze der Ökonomie sprechen, und derjenigen, die glauben, dass
sich die menschliche Geschichte als ein sich ständig optimierender Weg in
Richtung auf ein endliches Ziel darstellt. Blicken wir auf die weltweite
Historiographie zurück, so begegnen uns immer wieder diejenigen, die die
Meinung vertreten, dass die Maßnahmen, mit denen die Natur der Überbevölkerung
und der Nahrungsmittelknappheit entgegentritt, in den Kriegen, den Hungersnöten
und den Epidemien zu erkennen sind.
Darüber hinaus begegnen wir dem Narrativ, dass
sich das Ende einer Epoche nach einer Aufeinanderfolge menschlicher und
natürlicher Ereignisse, die Probleme des Klimawandels, Invasionen, Unruhen im
Inneren, politische Katastrophen und wirtschaftliche Niedergänge umfassen, zu
erkennen gibt und schließlich in die »systemische Katastrophe« führen. Und wir
können nur der Feststellung zustimmen, dass es historische Momente gibt, die
trotz ihrer extrem kurzen Dauer innerhalb des Ablaufs der Geschichte eine
derartige Dynamik besitzen, dass sie fundamentale Veränderungen bewirken
können.
Auf der Suche nach den Ursachen können wir
natürlich Rousseau oder Toynbee nicht übergehen, die in ähnlicher Weise
erklären, dass es der Zweck der Politik sei, die menschlichen Gesellschaften
von der Gewalt der Anarchie zu befreien und vermittels der Durchsetzung von
Recht und Ordnung Frieden und Sicherheit wieder herzustellen. Und plötzlich sehen
wir uns dem Paradoxon gegenüber, mit der Geschichte abzuschließen, weil man uns
sagt, dass der Weg hier mit der Aufrichtung einer Weltregierung ende! Die
Grundlage dieser neuen Ordnung der Dinge bildeten dabei Recht und Ordnung,
zurechtgeschnitten auf die Bedürfnisse der internationalen Eliten, die auf die
Katastrophe und die Trennung der Gesellschaften in produktive und jene
zuführen, die durch Schrecken, Unterdrückung, Instabilität, Aufstände und
Katastrophen wie die unsrige charakterisiert sind. Bei unserem Gang durch die
Geschichte begegnen wir auch der Theorie und der Praxis des »laissez-faire«, das
die Stärkung der Starken und die Schwächung der Schwachen sowie die unkontrollierte
und ungeregelte Gigantisierung der Pharmakolosse, der Digitalkonzerne und der
Börsenspekulanten usw. mit sich bringt, was einen geometrischen Anstieg der
Ungleichheiten zur Folge hat.
Der eine Historiker gibt den Stab an den
nächsten weiter, und ein Gedanke folgt auf den vorherigen, was schließlich zum
Axiom führt, dass die Konzentration des Reichtums in den Händen Weniger ein
instabiles Gleichgewicht erzeugt, worauf in der Geschichte entweder durch eine
gesetzlich verordnete Neuverteilung des Reichtums oder eine Revolution reagiert
worden ist, was wiederum zur Ausbreitung der Armut geführt hat.
Wir beginnen zu begreifen, dass sich die
Geschichte zwar nicht wiederholt, es aber auf der Grundlage der Analyse aller
Fakten und deren korrekte Bewertung ermöglicht, Schlussfolgerungen zu ziehen
und zu akzeptierten Grundsätzen, Axiomen oder Motiven zu gelangen.
In engem Zusammenhang hiermit und in vollem
Einklang mit den Axiomen der Geschichte stehen auch die jüngsten
Veröffentlichungen der OECD, denen zu entnehmen ist, dass 1% der
Weltbevölkerung 46% des Reichtums kontrolliert, während einer von drei Bürgern
der Mitgliedsländer der OECD an der Armutsgrenze leben; sieben von zehn
Griechen leben inzwischen sogar unterhalb der Armutsgrenze. Außerdem darf ein
weiteres wichtiges Forschungsergebnis nicht übersehen werden, dem zufolge 10%
der erwachsenen Bevölkerung von psychischen Problemen betroffen sind oder
Verhaltensstörungen aufweisen. Diesen Veröffentlichungen zufolge wirkt sich die
Wirtschaftskrise in mannigfaltiger Weise auf die Gesundheit der Menschen aus,
wobei die Mittel für die Gesundheit und die Löhne sinken und Arbeitsplätze
verloren gehen, was wiederum zur Folge hat, dass die Unsicherheiten in der
Arbeitswelt zu körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen führen.
Was aber sagen hierzu die
»Gesundheitsstrategen« und diejenigen, die schon seit Jahren den öffentlichen
Bereich und die Güter der Allgemeinheit privatisieren? Und wo bleiben der
Frieden und die Sicherheit der Bürger?
Es ist also nicht verwunderlich, dass sich
zum ersten Mal überall auf der Welt die große Mehrheit der Menschen und vor
allem der Jüngeren darin einig ist, dass der herrschende Kapitalismus eher
schlecht als gut zu bewerten ist und sich, wenn er schon nicht ersetzt werden
kann, wieder als tauglich erweisen muss.
Die Geschichte, um wieder auf sie
zurückzukommen, ist allerdings kein Horrorkabinett, sondern ein gewaltiger
lichtdurchfluteter Raum mit einer reichen Hinterlassenschaft, die wir nicht nur
als Waffe gegen die Finsternis einsetzen, sondern auch als Quelle des Wissens,
des Glücks und des Optimismus nutzen und sie stolz an die folgenden
Generationen weitergeben können. Selbstverständlich bewundere ich die
humorvolle und unmittelbare antisystemische Kritik der Jugend und derjenigen am
Zeitgeschehen, die in dieser schwierigen Zeit der Erschütterung der Fundamente
und der neuen Ordnung der Dinge im Bereich der Gesetzgebung die richtige
Stellung beziehen. Es ist zwingend erforderlich, sich gegen die Unterdrückung
der neu belebenden Kräfte zu stemmen, die jedem Menschen innewohnen.
Auf der Suche nach Ursachen, Lösungen und
Antworten hinsichtlich der komplexen Probleme unserer Zeit wäre auf diesem
kurzen Streifzug durch die Geschichte noch vieles zu sagen. Was ich am Ende für
mich persönlich festhalten möchte, ist das leuchtende Beispiel des antiken
Griechenlands, das sich in ähnlich umwälzenden Zeitläuften an das Prinzip des
»METRON ARISTON - rechten Maßes« gehalten hat, das auch den Ausgangspunkt für eine neue Periode
bilden kann.